Kosovo-Experte im Interview

Darin wird erklärt warum Serbien den Kosovo
nicht als eigenständigen Staat anerkennt.

ISMAIL KADARÉ, 1936 in Gjirokaster geboren, wo auch Albaniens früherer Diktator Enver Hodscha zur Welt kam, gilt mit seinen Romanen „Der General der toten Armee“ und „Die Festung“ sowie den „Drei Trauergesängen für das Kosovo“ als Nobelpreis-Kandidat.Der Schriftsteller lebt heute in Paris.Mit ihm sprach Jörg von Uthmann.
Der Nationalismus in Europa stirbt aus.Alte Feinde wie die Deutschen und die Franzosen, die Deutschen und die Polen haben sich ausgesöhnt.

Sogar im unruhigen Irland bahnt sich eine Verständigung zwischen Katholiken und Protestanten an.Nur auf dem Balkan lebt der Chauvinismus ungebrochen fort.Wie ist das zu erklären?

Die Versuchung, den Balkan als Einheit zu betrachten, ist groß.Aber das Bild ist ein Klischee.Alle Balkanvölker über einen Kamm zu scheren ist, unmoralisch und ungerecht.Griechen, Albaner, Rumänen, Bulgaren – keines dieser Völker hat seine Nachbarn angegriffen.Eine aggressive, chauvinistische Politik betreibt nur Serbien.Nur in Serbien wird eine verbrecherische politische Klasse von einem großen Teil der Bevölkerung unterstützt.

Warum hat sich der Chauvinismus ausgerechnet in Serbien erhalten?

Unter den slawischen Völkern wollen sich einige – keineswegs alle – für die Demütigungen der Vergangenheit rächen.Auch die Serben wurden gedemütigt.Wer den Balkan begreifen will, muß sich klarmachen, daß er fünf Jahrhunderte lang Teil des Osmanischen Reiches war.Das Osmanische Reich war ein kosmopolitisches Imperium.Es wurde nach dem Prinzip „Divide et impera“ regiert.Die Osmanen etablierten die Hierarchie, an deren oberem Ende interessanterweise nicht die Türken standen, sondern Griechen, Albaner, Juden und Armenier.Sie waren die Wesire und die leitenden Beamten.Die Serben dagegen wurden bewußt kleingehalten und erniedrigt.Denn sie galten als die Statthalter des Erzfeindes: der Russen.Dafür rächen sie sich heute.Für die Privilegien, die die Albaner unter den Osmanen genossen, müssen sie heute büßen

Aber haben sich nicht auch die Albaner an den Serben gerächt, wenn sich die Gelegenheit dazu bot – etwa unter der deutschen Besatzung?

Serbische Propaganda! Natürlich haben die Albaner die deutsche Besatzung der serbischen vorgezogen – ebenso wie die Balten, die Ukrainer und die Kaukasus-Völker lieber deutsche Besatzer hatten als russische.Aber um sich an den Serben zu rächen, dazu hatten die Albaner gar keine Möglichkeit.Heute erzählen die Serben, sie hätten damals die Juden gerettet, und vergleichen sich selbst mit den zu Unrecht verfolgten Juden.Dabei waren die serbischen Faschisten genauso antisemitisch wie die kroatischen.

Zur Begründung ihrer Ansprüche auf das Kosovo rufen die Serben ihre Geschichte an, und zwar eine Geschichte, die schon sehr weit zurückliegt.Das gleiche tun auch die Albaner.Empfinden Sie dieses ewige Hervorkramen der Vergangenheit nicht als ungesund?

Ich bitte Sie, doch zu unterscheiden! Von einer Symmetrie zwischen Serben und Albanern, wie sie die Medien so gern herstellen, kann wirklich keine Rede sein.Die Serben haben eine idiotische Schlacht im Mittelalter gefunden, um die Unterdrückung der Albaner im Kosovo zu rechtfertigen.Wir tun nichts anderes, als uns gegen ihre Geschichtsklitterung zu wehren.Ich bin ja ganz einverstanden: Lassen wir die Geschichte in Ruhe.Aber wenn die Serben von der Geschichte sprechen, müssen wir auch davon sprechen.Die neurotische Besessenheit von der eigenen Geschichte finden Sie nicht bei den Albanern.Über Skanderbeg, unseren sogenannten Nationalhelden, sind in allen Sprachen 300 bis 400 Bücher erschienen, aber in Albanien nur drei oder vier.

Zwischen den Serben und den übrigen Völkern Jugoslawiens hat es oft Mischehen gegeben.Die Kosovo-Albaner dagegen blieben weitgehend unter sich.Man sagt, abgesehen von den Eisverkäufern hätten die Bewohner Belgrads nie einen von ihnen zu Gesicht bekommen.

Das Kosovo lebte in einer Art Apartheid.Es war die Tragödie der Albaner, daß die Hälfte ihres Landes einem Volk gegeben wurde, das ihnen feindlich war.Auch gebildete Serben wollten mit den Albanern nichts zu tun haben.

Aber auch Albanien wollte lange mit dem Kosovo nichts zu tun haben.Im Nachwort zu einem Roman Ihres Landsmannes Rexhep Oosja sprechen Sie vom „schändlichen Schweigen des Mutterlands“.Warum schwieg Albanien?

Das kommunistische Regime in Albanien war an nationalen Fragen nicht interessiert.Da Jugoslawien und Albanien in der kommunistischen Welt feindliche Spielarten vertraten, diente ihnen die andere Landeshälfte jenseits der Grenze als abschreckendes Beispiel.Sie bewies, wie schlecht das andere System war.Das wirkliche Kosovo verschwand in einem Propaganda-Nebel.

Welche Lösung schlagen Sie vor? Eine Wiedervereinigung der beiden Landeshälften?

Es ist jetzt nicht der Augenblick, um zu spekulieren.Die Albaner sind ein europäisches Volk wie alle anderen.Sie haben das gleiche Recht, über ihr eigenes Schicksal zu bestimmen.Ich sage das ganz ernsthaft und ohne Hintergedanken.Die Wiedervereinigung ist eine hypothetische Frage, die gegenwärtig besser unerörtert bleibt.Daraus zu schließen, daß eine Wiedervereinigung auf alle Zeiten ausgeschlossen ist, wäre allerdings provozierend und unmoralisch.Wir müssen die Beantwortung der Frage auf später verschieben, auf einen Zeitpunkt, zu dem die Grenzen auf dem Balkan ihre Dramatik verloren haben.

Was schwebt Ihnen für das Kosovo vor?

Das kriminelle Milosevic-Regime muß fallen.Serbien muß begreifen, daß es schwere Verbrechen begangen hat.Das Kosovo muß bis auf weiteres von den Europäern regiert werden.Es weiter von den Serben regieren zu lassen, ist nach ihren schauerlichen Verbrechen, den Vergewaltigungen und Massenmorden undenkbar.

Die Serben werden Ihnen antworten: Das Kosovo können wir nicht aufgeben.Dort liegen unsere heiligsten Klöster!

Was soll das heißen: unsere Klöster? Soll es heißen: Wir massakrieren Kinder im Namen unserer Klöster? Überall in Europa gibt es römische Ruinen.Kann Italien aus ihnen das Recht ableiten, alle Länder Europas für sich zu reklamieren? Jedes Volk hat Schlachten geschlagen, viele außerhalb seines eigenen Staatsgebiets – wie Austerlitz und Waterloo.Lassen sich daraus territoriale Ansprüche ableiten? Das sind kriminelle Phantasien.

Gemeinsam mit französischen Intellektuellen haben Sie einen Aufruf unterschrieben, der die Bewaffnung der UCK fordert.Der Friedensplan der NATO sieht dagegen eine Entwaffnung der Guerrilleros vor.

Als ich den Aufruf unterschrieb, wollte ich sagen: Wenn die NATO nicht einmarschieren will, weil sie das Leben ihrer Soldaten schützen wollten – gut.Aber es gibt andere, die bereit sind, ihr Leben zu riskieren.Wenn sich die Serben zurückziehen und das Kosovo unter europäische Kontrolle kommt, gibt es für bewaffneten Widerstand keinen Grund mehr.

Die Kosovo-Albaner genießen derzeit viele Sympathien.Aber künftig wird sich so mancher – wie schon in Bosnien – die Frage stellen, ob ein islamischer Staat in Europa nicht bedrohlich ist.

Daß sie das christliche Europa gegen die „ungläubigen“ Albaner verteidigen – auch das ist wieder so eine serbische Zwangsvorstellung.Ja, ein Teil der Albaner ist muslimisch, aber niemand weiß genau, wieviele es sind.Die meisten Albaner wissen nicht einmal, zu welcher Religionsgemeinschaft sie gehören.Seit hundert Jahren gibt es Mischehen mit Christen.So gut wie alle Gebildeten sind Christen.Skanderberg, der Nationalheld, war katholisch.In Albanien stehen mehr Kirchen als Moscheen.Es stimmt, im Kosovo ist der Islam stärker.Aber auch dort ist ein islamischer Staat undenkbar.Nein, Monsieur, mit den Arabern haben wir nichts zu tun.

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5 Gedanken zu „Kosovo-Experte im Interview

  • 22. Februar 2008 um 14:34
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    Hallo und liebe Grüße aus der Ferne!
    Ich habe es mal wieder zu Dir geschafft :-)))
    Ich fand das Interveiw interessant, vor allem weil ich ja gerne auch mal andere Sichtweisen höre.

    Danke und liebe Grüße,
    Jes

    Antwort
  • 22. Februar 2008 um 15:50
    Permalink

    Man gibt sich Mühe lieber Jens!
    Liebe Grüsse zurück

    Antwort
  • 10. Oktober 2008 um 11:02
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    alles schwachsinn… kosovo gehört zu serbien.. jeder weiß dass!! ALLES andere is schwachsinn…. ALBANer gehören nach ALBANien

    Antwort
  • 10. Oktober 2008 um 15:32
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    Inwiefern ein Staat eigenständig und dadurch auch SELBST überlebensfähig ist, hängt auch von den wirtschaftlichen Begebenheiten ab. Diese sind jedoch beim Kosovo nicht wirklich gegeben (42% Arbeitslosenquote!!!, mehr als 1,5 Milliarden Euro Außenhandelsdefizit, 37% der Bevölkerungen leben unterhalb der Armustgrenze) – die Anerkennung des Kosovo wird Europa neben den Problemen mit Serbien (und verm. auch Rußland) auch noch nicht unwesentliche finanzielle Probleme mit sich bringen.
    Alleine den Wunsch nach Unabhängigkeit zu äußern und sich dann zukünftig auf die europäische Staatengemeinschaft zu verlassen ist etwas wenig, denke ich. Nun aber haben ein Großteil der europäischen Staaten den Kosovo anerkannt (wieder einmal ohne Volksbefragung aus irgendwelchen politischen Bauchgefühlen heraus) – und damit wurde das (finanzielle) Problem von Serbien auf die EU abgewälzt.
    Unbestreitbar ist, dass eine definitve Überlebensfähigkeit des Staates nicht gegeben ist.
    Unbestreitbar ist weiters, dass Russland in Georgien bereits anklingen lies, was es von der europäischen Anerkennung des Kosovo hält.
    Ob Kosovo zu Serbien gehört oder nicht vermag ich nicht zu beurteilen – die definitive Abspaltung und Anerkennung jedoch hätte in einem Konsens stattfinden müssen. Mit der einseitigen Loslösung und Anerkennung haben wir (bzw. „unsere“ Politiker) mitten in Europa ein vielleicht lange Zeit unbeachtetes, früher oder später jedoch explosionsbereites Fass (noch dazu ohne Boden!) geschaffen.

    Antwort
  • 10. Oktober 2008 um 15:40
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    Sehr nachdenklich habe ich gerade deine Meinung hiezu gelesen.
    ist doch schon arg, was vor Unsere Haustüre passiert!
    Bei Uns geht alles ohne Volksbefragung, was ist denn das überhaupt?

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